Die deutsche Sprache ist männlich
Ein Mann bringt seine Tochter ins Spital, der Arzt untersucht sie und meint, „Sie hat eine Blinddarmentzündung, aber ich kann sie nicht operieren, weil sie mein Kind ist.“ Wie ist das möglich? Lösung: wegen des generischen Maskulinums in der deutschen Sprache.
Wann immer von Gruppen wie Politikern, Angestellten, Hobbyastronomen oder Aktivisten die Rede ist, geht der Leser davon aus, dass Männer gemeint sind. Erst wenn aus dem Kontext hervorgeht, dass hier „auch Weibsvolk anwesend ist“, wird die zuvor erhaltene Information uminterpretiert.
Gibt es auch ein generisches Femininum? Nein, nicht in der deutschen Sprache. Wann immer ein Beruf traditionell nur von Frauen ausgeübt wurde, und irgendwann auch Männer diesen Beruf ergreifen, muss eine neue Berufsbezeichnung gefunden werden. So entstand zum Beispiel die Bezeichnung „Krankenpfleger“, obwohl es dafür doch schon eine passende Bezeichnung gab: „Krankenschwester.“
Umgekehrt tun Männer sich sehr schwer mit neuen Berufsbezeichnungen, die traditionell nur von Männern ausgeübt wurden. Waltraud Klasnic war keine Landeshauptfrau, sondern Landeshauptmann, so ist es auch auf Wikipedia zu lesen. (Und so lang ist das noch gar nicht her.)
Noch ein Beispiel: nehmen wir an, der Papst würde einen ökumenischen Brief an Katholiken, Protestanten und Muslime schicken (rein theoretisch natürlich!), und würde diese Gruppe mit „Liebe Katholiken!“ ansprechen, und in der Frußnote wäre zu lesen: „Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes: Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird auf eine religionsspezifische Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für alle Religionen.“ Das ist die Situation, in der sich etwa die Hälfte der deutschsprachigen Bevölkerung ständig befindet.
Inzwischen sind nicht mehr nur zänkische, hässliche, verbitterte Emanzen davon überzeugt, dass die deutsche Sprache reformiert werden sollte, sondern sogar Männer. Einer davon ist der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, und er erklärt in diesem Video sehr unterhaltsam, aber auch logisch, warum. Vielen Dank dafür, angeblich hat die Frauenbewegung ja erst eine Chance, wenn fähige Männer die Sache in die Hand nehmen!
Freitag 11 Januar 2013 15:37
Ich verstehe die Problematik, aber das Beispiel mit Mann-Tochter-Arzt ist völlig missglückt bzw missverstanden. Das Original dazu ist nämlich auf Englisch und soll dort demonstrieren, dass es eben NICHT (nur) auf die Sprache ankommt, sondern auf Denkgewohnheiten. Berichtete jemand die Geschichte normal auf Deutsch, würde wohl jeder sagen „…die Aerztin untersucht sie…“.
Im Englischen gibt es aber tatsächlich eine sprachlich geschlechtsneutrale Bezeichnung „the doctor“. Das ändert aber überhaupt nichts an der Verwirrung, die dadurch entsteht, denn immer noch scheinen die meisten Leute bei „the doctor“ einen Mann im Kopf zu haben.
Dies soll darstellen, dass es eben nicht auf die sprachliche Formulierung ankommt, zumindest nicht nur, sondern mehr auf die gesellschaftliche und persönliche Erwartungshaltung. Dies ist interessant, aber nicht unbedingt das, was der blog-Artikel aussagen will. Denn auf Deutsch ist es durchaus erlaubt, verwirrt sein zu dürfen, wenn der Erzähler das Wort Arzt statt Aerztin benutzt.?
Freitag 11 Januar 2013 16:06
Der männliche Arzt im Kopf ist die eine Seite des Problems, die andere Seite ist, dass es im Deutschen tatsächlich korrekt ist, eine Frau mit einer männlichen Berufsbezeichnung zu versehen, wie im Video eindrucksvoll erklärt wird.
Samstag 3 August 2013 21:16
Ich verstehe, dass man die eigene Tochter nicht operieren kann. Jedoch glaube ich, ist das heutzutage kein Problem mehr, da es vor allem für OPs wie das Herrausnehmen des Blinddarms derzeit schon genug Ärzte gibt.
Sonntag 4 August 2013 08:08
Zum einen: ja, Ärzte operieren ihre Angehörigen nur in extremen Ausnahmefällen, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass man bei „Arzt“ niemals an eine Frau denkt, und dass man daher sehr wohl die weibliche Berufsbezeichnung verwenden muss, wenn man dem Leser signalisieren will: „Die Rede ist hier von einer Frau“ (zB einer Ärztin). Die Argumentation lautet ja meist, es ist nicht nötig für Frauen extra eine weibliche Bezeichnung einzuführen, weil Frauen „ja eh mitgemeint sind“.
Besonders auffällig wird das im umgekehrten Fall: Wenn Männer den Beruf einer Krankenschwester ausüben, sind sie absolut nicht damit einverstanden als Krankenschwester bezeichnet zu werden, sie wollen nicht einmal als Krankenbruder angesprochen werden, sondern es musste, als Männer anfingen diesen Beruf zu ergreifen eine neue Berufsbezeichnung eingeführt werden: Krankenpfleger. Soviel dazu.
Freitag 8 Juli 2016 18:20
Bei dem Video wird es einem ja richtig übel und das meine ich im negativen Sinn… Ich wär dort wohl nur Buh-rufend herumgesessen. Ach nein, ich hatte nach 15 Minuten wohl diese Veranstaltung verlassen…